JAGD
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24.08.2022

SCHUSSSCHEUE

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Wenn der Hund bei lauten Geräuschen oder bei einem Schuss Reißaus nimmt, sind oft negative Erfahrungen schuld. Wie können diese aussehen und wie kann der Hundeführer das Problem lösen?


 

Die Anlage zur Geräuschempfindlichkeit reicht bei Hunden von der Entwicklung einer echten, nicht therapierbaren Schussangst, über die therapierbaren Formen der Geräuschempfindlichkeit bis hin zur Schussgleichgültigkeit. Eine nicht unbedeutende Anzahl unserer Jagdhunde zeigen eine mehr oder weniger ausgeprägte Unsicherheit bei Lärm, Geräuschen, Gewitter, Feuerwerk und vor allen bei der Schussabgabe. Bei der Mehrzahl der davon betroffenen Hunde tritt diese Problematik besonders in den ersten zwei bis drei Jahren ihres Lebens auf. Dabei lässt sich die echte Schussangst (nicht therapierbar) von einer Schussscheue (therapierbar) deutlich unterscheiden.

ECHTE GERÄUSCHEMPFINDLICHKEIT

Die echte Geräuschempfindlichkeit, aus der eine Schussangst resultieren kann, ist angeboren. Sie lässt sich nicht wegprägen, sondern nur mindern. Erkennbar ist sie daran, dass der Hund in gegebener Situation panische Angst empfindet, kopflos flieht, zittert oder stark speichelnd jedes Futter verweigert und nicht mehr ansprechbar ist. Therapierbar ist diese Form der Geräusch- oder Schussangst meiner Meinung nach nicht. Das Einzige, was hilft, ist ein Meiden der Situationen, die den Hund mit den angstauslösenden Geräuschen konfrontieren. 

Manchmal ist die genetische Disposition zur Geräuschempfindlichkeit bereits bei Welpen erkennbar. Beim Erkunden des Umfeldes zeigt der junge Hund dann auffällig gehemmtes Neugierverhalten und nähert sich Objekten und Lebewesen nur mit großer Vorsicht. Er neigt schnell zur Flucht oder versucht, oft auch durch Knurren, Schnappen oder Beißen, seinen Freiraum zu behaupten. Solchermaßen veranlagte Welpen müssen meist durch alle Stationen ihres Lebens mit viel Fingerspitzengefühl geführt werden. Darum sollten bei solchen Hunden bestimmte stressauslösende Situationen ebenso vermieden werden, wie eine harte Herangehensweise bei der Erziehung und Ausbildung. 

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Schon bei Welpen kann eine Disposition zur Geräuschempfindlichkeit ersichtlich sein.

Leider ist diese angeborene Geräuschempfindlichkeit aber nicht immer schon im Welpenalter ersichtlich. Sie kann auch erst während der Reifung des Hundes zu Tage treten. So veranlagte Hunde zeigen sich als Welpen und lange Zeit auch noch als Junghunde völlig unbekümmert und vermeintlich wesensfest gegenüber Lärm und Schussgeräuschen. Von einem Tag auf den anderen jedoch verfallen sie bei einem plötzlich auftretenden lauten Geräusch oder bei Schussabgabe plötzlich in panische Angst. Vermutlich legt die Genetik im Zuge der Ausreifung des Hundes sozusagen einen Schalter um. Zur Jagd sind Hunde mit echter Schussangst nur noch minimal oder gar nicht einsetzbar. Eventuell noch am Riemen, wenn eine Totsuche ansteht und sichergestellt werden kann, dass kein Schuss mehr abgegeben wird.

Konfrontiert man solche Hunde während der Nachsuche doch mit Schussgeräuschen, kann es schnell zu Fehlverknüpfungen kommen. Zum Beispiel kann der Hund die Wundfährte des Wildes mit dem Schuss in Verbindung bringen. In der Folge löst bereits die Wittrung, stellvertretend für den Schuss, zukünftig seine Angst aus. Desweiteren kann der Hund seine Schussangst auch auf Örtlichkeiten und Menschen generalisieren.

“NORMALE” GERÄUSCHEMPFINDLICHKEIT

Eine normale Geräuschempfindlichkeit gehört zur natürlichen Entwicklung eines Hundes. Dabei gehen Hunde mit Geräuschen, die ihnen vom Welpenalter an vertraut sind, unbefangener um, und sie können sich besser darauf einstellen. Deshalb ist es so wichtig, bereits Welpen behutsam und überlegt an diverse Geräusche zu gewöhnen. 

Wächst der Welpe aber in einem reiz- und geräuscharmen sowie eintönigen Umfeld auf und versäumen dazu noch Züchter und Welpenbesitzer, den unbedarften Hund positiv an diverse Umwelt-, Knall- und Schussgeräusche zu gewöhnen, muss dieses später unter Umständen mühsam nachgeholt werden.

UNTERSCHIEDE

Die therapierbare Form der Schussempfindlichkeit unterscheidet sich von der nicht therapierbaren Schussangst dadurch, dass der Hund nach der Schussabgabe zwar verunsichert die Jagd einstellt, zum Führer zurückläuft, dort Schutz sucht und jede weitere Aufgabe verweigert: Er bleibt dabei immer noch gut ansprechbar und kommt einfachen Hörzeichen wie Sitz, Fuß oder Platz nach. 

AUF DIE SITUATION BEZOGEN

Geräusch- oder Schussscheue tritt auch oft Situationsbezogen auf. 

Ein Beispiel: Der Hund zeigt sich bei Schussabgabe an Land unbekümmert und passioniert, nimmt auch noch freudig das Wasser an. Jedoch dreht er sofort ab, wenn der Schuss bricht. Dies lässt darauf schließen, dass es sich "nur" um eine negative Verknüpfung mit dem Wasser handelt und nicht um echte Schussangst. Mit etwas Geduld, einer guten Anleitung und viel Einfühlungsvermögen kann diese Verunsicherung therapiert werden.

Eine Therapie wird in solch einem Fall allerdings weitaus schwieriger, wenn diese Unsicherheit eine Generalisierung erfährt. Zum Beispiel in Bezug auf bestimmte Örtlichkeiten. Ist das passiert, wird der Hund bereits beim Annähern an das Gewässer, das er negativ mit einer Schussabgabe verknüpft hat, ohne vorherige Schussabgabe leichtes Zittern und Verunsicherung zeigen. 

Genauso kann es zu einer Generalisierung und somit zu Fehlverknüpfungen mit Apportierwild kommen, welches stellvertretend für den Schuss Unsicherheit auslöst. Manche Hunde werden auch bereits dadurch verunsichert, dass man die Flinte in die Hand nimmt oder beim Entsichern das metallene Klickgeräusch zu hören ist. Selbst die Geräuschkulisse an Silvester oder im Fasching kann ein Auslöser für Schussscheue sein. 

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Ein geräuschunsicherer Hund wird neben mehreren geräuschstabilen Hunden ins Sitz oder Bleib platziert. Im optimalen Fall wird sich der unsichere Hund an den stabilen Hunden orientieren, wenn der Knall erfolgt.

WAS KANN MAN TUN?

Normalerweise lässt sich eine Schussscheue binnen zwei bis drei Monaten wegtrainieren. Dieser Umstand könnte belegen, dass es sich lediglich um eine zeitlich begrenzte Entwicklungsphase des Hundes handelt und nicht um eine angewölfte Geräuschangst. Eine solche Empfindlichkeit gegenüber Schussgeräuschen bekommt man in den überwiegenden Fällen schnell und oft mit einfachsten Mitteln in den Griff.

Betroffene Hunde lassen sich gut und nachhaltig stabilisieren und sind dann in ihrer Leistung nicht mehr von den Hunden unterscheidbar, die noch nie Probleme bei Schussabgabe zeigten. Natürlich ist es naheliegend, Jagdhunde, die sich niemals schussscheu präsentierten, bevorzugt der Zucht zuzuführen. Es erscheint aber nicht sinnvoll, aus demselben Grund Hunde, die in allen anderen Fächern der Jagd Vorzügliches leisten und nur am Prüfungstag sozusagen auf dem „falschen Lauf“ erwischt wurden, aus dem Genpool zu nehmen.

Tritt Schussscheue bei einem Junghund während einer Brauchbarkeits- oder Zuchtauswahlprüfung auf, kann der Hund diese Prüfung natürlich nicht bestehen. Der Hundeführer sollte ihn jedoch nicht sofort als „unbrauchbar“ aburteilen. Denn eines darf nicht vergessen werden: Bei der Überprüfung eines jungen Hundes handelt es sich stets um eine Momentaufnahme seiner Entwicklungsphase und seiner aktuellen Verfassung. Der Hund sollte auf jeden Fall zu einem späteren Zeitpunkt, nachdem an seiner Schussscheue gearbeitet wurde, erneut auf einer Prüfung vorgestellt werden.

"VIELE WEGE FÜHREN NACH ROM"

Es gibt mehrere Ansatzpunkte, dem Problem Schussscheue beizukommen. Einer der wichtigsten ist, dass der Hund die Geräusche, die ihm Probleme bereiten, erst einmal einwandfrei einer Person zuordnen kann. Dadurch stehen die Geräusche für ihn nicht mehr imaginär und abstrakt im Raum. Kennt er den Geräuschverursacher, wird ihm, sprich dem Schuss, meist ein Großteil seiner Bedrohlichkeit genommen.

Sollte der Hund – trotz Schussscheue – führig sein, Kontakt zu seinem Besitzer halten und gerne apportieren, wird er zunächst in einen freudigen Erregungszustand gebracht. Er darf das von einem Helfer geworfene Dummy suchen und bringen (siehe Bildserie). Im nächsten Schritt werden laute Geräusche und später der Knall für den Hund zum Startsignal. Immer wieder muss er dabei die Geräusche dem Knallverursacher zuordnen können. Zu Anfang sollte zwischen Hund und Knallverursacher ein vertrauensvolles Verhältnis bestehen. Zeigt sich der Hund dabei schussfest, kann auch eine fremde Person die Schüsse abgeben.

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Erst ohne Schuss: während das Dummy geworfen wird, rennt der Hund los. Für den Apport wird der Hund später natürlich ausgiebig gelobt.

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Dann laut: Das Dummy wird geworfen. Während der Hund losrennt, macht die Führerin (r.) durch Klatschen laute Geräusche, um die Apportierfreude des Hundes daran zu koppeln.

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Fast zeitgleich werden zwei Dummys in dieselbe Richtung abgeschossen, während die Führerin ihren Hund laut motiviert. Der Hund ordnet das Geräusch dem Knallverursacher zu, während er auf das erste Dummy fixiert ist.

Im zweiten Schritt wird ein Startsignal für ein „Losrennen-dürfen“ erarbeitet. Dazu entfernt sich eine Person mit dem Futternapf. Der hungrige Hund wird zuerst mit dem Hörzeichen: „Lauf voran!“, dann bei Wiederholung, mit Hörzeichen und lautem Geräusch, wie in die Hände klatschen oder lautem Rufen, geschnallt und darf zum Napf sausen. Während der Hund das Futter frisst, gibt der Halter einen Schuss ab, rennt zum Napf und legt Futter nach. Schließlich wird der Schuss zum Signal, dass der Hund zur Schüssel rennen und Fressen darf.

In der dritten Phase laufen Hundeführer und Hund gemeinsam los, während der Schütze unmittelbar hintereinander zwei Dummys in Laufrichtung abschießt. Hund und Hundeführer dürfen beide je ein Dummy holen. Der Schuss wird dadurch zum Auslöser für ein freudiges „Zusammen-Hinlaufen“ und gleichzeitiger Orientierung zu den Dummys. Da man zwei Dummys schießt, können sich Hund und Hundeführer in ihrem Verhalten koppeln. Das Ziel ist eine Schussabgabe, die den Hund in eine positive Erwartung versetzt. Das Schießen soll zukünftig für ihn bedeuten: „Jetzt geht es los! Jetzt passiert etwas Tolles!“

Allerdings sollte eines bedacht werden: Primär geht es bei diesen Handlungsweisen darum, dem Hund zunächst die Angst oder Scheue vor dem Schuss und anderen lauten Geräuschen zu nehmen. Sobald dies zum Erfolg geführt hat, muss der Hund für den praktischen Jagdbetrieb wieder lernen, dass der Schuss nicht immer gleichbedeutend ein Losrennen signalisiert!

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1: Wurf und Dummy 2: Schuss und Dummy - Hund und HF holen zusammen das Dummy 3: Schuss und Futter: Während der Hund das Futter frisst, gibt der HF einen Schuss ab.

ZUSAMMENFASSEND

Die Ansatzpunkte: 

  • Personifizierung eines Knallgeräusches
  • Diverse Geräusche mit derselben Person in Verbindung zu bringen 
  • Generalisierung auf diverse Personen und Situationen
  • Den Knall mit positiven Erlebnissen zu verknüpfen
  • Umkehrung: Positive Erlebnisse durch den Knall anzukündigen

Das Ziel ist eine Schussabgabe, die den Hund in eine positive Erwartung versetzt. Das Schiessen soll zukünftig für ihn heißen: "Jetzt geht es los! Jetzt passiert etwas Tolles!"